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Daß die Erde flach sei – könnte der Traum eines ins Rotieren geborenen Klumpens sein. (© Dr. Hanspeter Rings)

Es ist nicht sinnvoll, etwas wegzulassen, und es ist nicht sinnvoll, alles zu erwähnen. So sitze ich vor einem Berg aus Geobla-Büchern und starre die Einbände an. Wo anfangen …

Zeigefinger

Oh ja! *selbigen heb und meine salomonische Stimme anwerf*

Hütet Euch davor, wissenschaftliche Abhandlungen zu schreiben. Niemand erwartet von Euch eine astronomische und geowissenschaftliche Beweisführung, in dem Ihr die naturwissenschaftliche Korrektheit Eurer Romanwelt darlegt. Überlegt Euch außerdem, was Ihr mit dieser Welt bezweckt! Ist sie schlicht der Lebensraum Eurer Kreaturen und Figuren oder soll sie gleichzeitig auch das gesellschaftliche, philosophische oder kulturelle Weltbild Eurer Völker widerspiegeln. Ein gutes Beispiel für ein solches Weltbild ist „Die bewohnte Insel“ von Strugatzki. Die Bewohner sind der unangefochtenen Überzeugung, auf der Innenseite Ihres Planeten zu leben – den Blick starr auf sich selbst gerichtet. Naturwissenschaftlich fragwürdig, aber eine perfekte Parabel ihrer Egomanie. Wissenschaftliche Fragwürdigkeit kann gewollt sein, wenn sie schlüssig erklärt wird. Ansonsten halte ich es gern mit diesem Zitat:

I think the notion of worldbuilding is a failure of literary sophistication. … I only invent what’s necessary to explain the mood of a character. I haven’t thought about an imaginary world’s social security system; I don’t know the gross national product of Melniboné. If worldbuilding is a sophisticated working-out of how a world interacts in and of itself, I don’t really have any of that. … The world unfolds in front of the character as the story develops. If the story doesn’t need it, it’s not there.
I’ve fought against this kind of anti-romantic rationalization most of my career. … I’m trying to tell a good story without you having to believe it as »reality.«Michael Moorcock, in Locus, Dezember 2014
Übersetzung
Ich glaube, die Idee des Weltenbaus ist ein Mangel an literarischer Eleganz … Ich erfinde nur was notwendig ist, um die Stimmung der Figur zu erklären. Ich habe nicht über ein imaginäres Sozialsystem der Welt nachgedacht; ich kenne das Bruttoinlandsprodukt von Melniboné nicht. Wenn Weltenbau eine ausgeklügelte Ausarbeitung davon ist, wie eine Welt an und für sich interagiert, habe ich das nicht wirklich … Die Welt entfaltet sich vor der Figur, während sich die Geschichte entwickelt. Wenn die Geschichte es nicht braucht, ist es nicht da. Ich habe den größten Teil meiner Karriere gegen diese Art von antiromantischer Rationalisierung gekämpft … Ich versuche eine gute Geschichte zu erzählen, ohne den Anspruch, dass man sie als „Realität“ empfindet.

*Zeigefinger wieder runternehm*

Unsere Erde ist unser Bezugssystem, unser Referenzmodel. Alle Betrachtungen, die wir anstellen, gehen vom Bekannten aus. Ändern wir von dem Bekannten eine Variable, wird es anders. Der Einfluss der Änderung auf die (Stoff)Kreisläufe sind im wahrsten Sinne berech(n)enbar, wenn auch modellhaft. Ich werde hier keine Berechnungen anstellen und hoffentlich alles logisch und nachvollziehbar erklären, auch wenn ich nicht auf jedes Detail eingehen kann und werde.

Einfache Sachen – Lass uns rotieren

Unsere Erdrotationsachse ist geneigt. Wer es komplizierter will: Heute liegt die Erdachse zur Ebene der Umlaufbahn um die Sonne (Ekliptik) um 23,5° geneigt. Die Neigung unserer Erdachse war nicht immer so, wie sie jetzt ist. Die Neigung schwankt. Durch die Schwankungen gab es eine blühende Sahara, ein warmgemäßigtes Spitzbergen oder einen 3000 m dicken Eispanzer über Norwegen. Wie kam das?

Sehen wir uns einen Planeten (wir können ihn Merkur, Venus oder Jupiter nennen) an, deren Rotationsachsen fast senkrecht zur Ekliptik steht, d. h. im rechten Winkel.

Die Sonnenstrahlen treffen zu jedem Zeitpunkt des Jahres unverändert auf die Oberfläche, d. h. immer im selben Einfallswinkel. Es gäbe daraus resultierend keine astronomischen Jahreszeiten und folglich keine klimarelevanten Jahreszeiten. Und an jedem Punkt des Planeten wäre Tag und Nacht immer gleich lang.

Folglich wäre der Äquator heißer und womöglich ein Wüstengürtel. Die Pole kälter und vielleicht mit einer massigeren Eisschicht bedeckt. Dazwischen gäbe es unterschiedliche Vegetationszonen auf beiden Kugelhälften, von heiß und trocken –> zu üppig in den mittleren Zonen –> bis zu kalt und trocken Richtung Pole.

Die Erdrotationsachse hingegen ist um 23,5° geneigt (siehe folgendes Bild).

Im Sommer ist die Nordhalbkugel der Sonne zugeneigt und bekommt viel Sonnenstrahlung ab. Im Winter ist die Nordhalbkugel der Sonne abgewandt und bekommt wenig Sonnenstrahlung ab. Das heißt, die Lage der Erdachse beeinflusst die von der Erde aufgenommene Sonnenstrahlung und deren räumliche Verteilung. Die Neigung führt zum Entstehen von Jahreszeiten.

Über einen Zeitraum von ca. 40 000 Jahren schwankt die Neigung der Erdachse zwischen ca. 21° bis 24°. Je senkrechter die Achse (21°-Neigung), desto weniger Sonnenstrahlung bekommen die Pole über das Jahr betrachtet ab, und desto kälter werden diese Regionen. Fällt dazu mehr Schnee, ist das der Beginn einer Kaltzeit, die in eine Eiszeit* münden kann. Denn die größere Fläche aus Eis und Schnee wirkt wie ein Spiegel und reflektiert die wärmende Sonnenstrahlung ins All zurück. Es wird wiederum kälter –> Eiszeit. Die Neigung der Erdrotationsachse hat folglich Auswirkungen auf das globale Klima, d. h. die Entstehung von Warm- und Kaltzeiten (siehe Milanković-Zyklen).

Was erkennen wir noch? Genau, die Tage sind im Sommer länger und die Nächte kürzer (siehe folgendes Bild, pinke Linie). Wow und Prost.

Neigen wir die Rotationsachse noch mehr, wie es bei Uranus der Fall ist:

Die Achse liegt fast parallel zur Ekliptik. Folgerichtig wird ein halbes Jahr lang die Nordhalbkugel beschienen, und die andere Hälfte des Jahres ist der Norden sonnenabgewandt. Gäbe es Vegetation auf dem Uranus, wovon nicht ausgegangen wird, würde sie im Sommer schlicht verbrennen und im Winter erfrieren und mangels Sonnenlicht keine Fotosynthese betreiben können.

Zwischen all diesen Winkeln, Achsen und Ekliptiken gibt es viel Variation. Übrigens, die Rotationsachse der Venus steht zwar annähernd senkrecht zur Ekliptik, aber eigentlich in einem Winkel von 180°, denn sie dreht sich von Ost nach West.

Nicht nur rotieren, sondern auch eiern

Das tun die Planeten, wenn es infolge von großen Massenbewegungen zu einer Umverteilung selbiger im Inneren und/oder auf der Oberfläche kommt.

Im 20. Jahrhundert „wanderte“ der Nordpol (Durchstoßpunkt der Rotationsachsen 😊) noch Richtung Hudson Bay, Kanada. Dafür sorgte das Abschmelzen eines Eispanzers nach der letzten Eiszeit, was zur Entlastung und damit Hebung Nordamerikas führt(e). Seit den 2000ern hat der Nordpol seine Wanderrichtung geändert und nähert sich nun mit 17 cm/a den britischen Inseln. Das Satellitenduo GRACE misst die Veränderungen im irdischen Schwerefeld, die durch lokale Unwuchten entstehen. Unwuchten sind bspw. besonders dicke Krusten wie beim Himalaya oder dicke Eispanzer über der Antarktis oder Grönland.

Die Auswertung der Satellitenduo-Daten ließen den Schluss zu, dass womöglich das Abschmelzen von enormen Eismassen (Grönland hat zwischen 2005 und 2011 rund 263 Milliarden Tonnen Eis verloren, die Antarktis etwa 81 Milliarden Tonnen) und die Ausbeute des Grundwassers in Eurasien eine Rolle bei der Massenumverteilung auf der Erde spielen und somit den Nordpol verschieben.

Weiterhin spielt die Plattentektonik im Rahmen von Massenumverteilung eine wichtige Rolle. Erdbeben bspw. können die Rotationsachse mal schnell um ein paar Zentimeter raushauen.

Und jetzt?

Nichts. Die Verrenkungen der Rotationsachsen bemerken wir nicht, zumindest nicht sofort. Selbst, wenn sie so stark wäre, dass sich die Erdachse aufrichten würde, bedürfte es mehrere Dekaden um handfeste Auswirkungen zu registrieren. So ein Inlandeispanzer kraucht nicht von heute auf morgen über die Ostsee.

Eine sich ändernde Variable setzt allerdings eine Reaktionskette in Gang. Und je nachdem wie sensibel sie ist, desto schneller oder langsamer führt es zu Veränderungen.

Resümee

Die Existenz von Jahreszeiten ist abhängig von der Neigung der Rotationsachse zur Ekliptik. Die Dauer der Jahreszeiten ist durch die Umlaufzeit Eures Planeten um seinen Stern definiert; und die Existenz und Dauer von Tag und Nacht liegt zum einen an der Eigenrotation des Planeten und die Varianz, über ein Jahr betrachtet, an der Neigung der Rotationsachse.


* Es gibt noch weitere Faktoren, die in einem Artikel über „Eiszeit“ erörtert werden können. Neben der Rotationsachse spielen auch die Plattenbewegungen eine Rolle, die wiederum auf Meeresströmungen und somit mittelbar auf das Klima Einfluss nehmen.

** Einen Erdwurf weit von Hanspeter Rings (2011)

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