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Deine Worte haben Macht

Deine Worte haben Macht.

Mit deinen Worten erzählst du Geschichten, baust Welten; du bringst Menschen zum Lachen, zum Weinen, zum Schmollen, zum Wüten, zum Nachdenken. Deine Worte beeinflussen die Leser*innen. Selbst wenn sie nicht mögen, was du schreibst, und anderer Meinung sind, haben sie sich mit deinen Worten befasst. Deine Worte haben Macht.

Du fragst dich, was du schon zu sagen hast? Du willst doch gar nicht aufrütteln. Du bist bloß ein kleiner Schreiberling, der ein bisschen Fantasy, ein bisschen Romance, ein bisschen Thriller zu Papier bringt. Ein bisschen Eskapismus. Das ist alles. Du bist kein*e nobelpreiswürdiger Literat*in, die*der mit sozialkritischen Werken große Debatten nach sich zieht. Das bist du nicht, das willst du auch gar nicht.

Dennoch bist du Autor*in. Du schaffst eine Welt, gewährst den Lesenden für ein paar Stunden Zuflucht. Diese Welt muss nicht schön sein. Sie kann düster und brutal sein. Es wird vergewaltigt und getötet. Die Romanfiguren sind niederträchtig. Sie sind rassistisch, sexistisch und von Kopf bis Fuß diskriminierend. Doch gerade das ist fesselnd: Schaut her, das ist schrecklich und dennoch faszinierend.

In diesem Artikel möchte nicht auf Romane eingehen, bei denen man von vornherein weiß, dass sie schreckliche Gewaltdarstellungen enthalten. Ich möchte auf die romantische Liebesgeschichten eingehen (mit hetero cis Paaren, weil gerade in dieser Konstellation problematische Klischees bedient werden). Denn gerade Worte, die das Herz berühren – egal ob sanft oder verletzend – haben Macht.

Gut oder schlecht? Eine Frage der Perspektive

Liebesgeschichten handeln oft von einer durchschnittlichen, aber liebenswerten Frau und einem Mann, der nicht an die Liebe glaubt, bis er die Richtige gefunden hat. Sie haben zwar ihre Macken, dennoch spiegeln sie das wider, was wir sind: durchschnittlich, aber liebenswert und in den wichtigen Situationen mutig. So identifizieren wir uns mit der Protagonistin oder sympathisieren mit ihr; anhimmeln den männlichen Helden und verlieben uns in ihn.

Auf der anderen Seite stehen Ex-Männer, wasserstoffblondierten Ex-Freundinnen bzw. Affären, Schwiegermütter oder Sekretärinnen mit Kunstnägeln und falschem Perlenschmuck. Natürlich sind sie nicht so extrem wie die Bösewichte aus den Dark-Fantasy-Romanen, sie sind bloß oberflächlich, ignorant und wissen es einfach nicht besser. Der Ex-Mann hat zum Beispiel ein Alkoholproblem und wird ausfällig oder er ist ein Weichei, das die Protagonistin nicht wie eine Frau fühlen lassen kann. Die vorigen Partnerinnen der männlichen Hauptfigur sind eifersüchtige, hinterhältige Schlampen, deren Namen man sich nicht mal merken muss.

Es sind Stereotypen, und es spricht nichts dagegen, sie im Roman zu benutzen. Es spricht auch nichts dagegen, diese stereotypen Figuren hässlich (optisch und charakterlich) darzustellen. Dennoch überlege dir, welche Auswirkung diese Stereotypen auf deinen Roman haben. Wie wirkt deine Romanwelt und wie beeinflusst diese Darstellung die Leser.

Wir können es mal mit einem Perspektivwechsel versuchen.

CN: Sexismus, sexuelle Übergriffe

Stell dir vor, du bist eine junge Frau und bist mit deiner Mädelsclique auf einer Party. Ein heißer Typ mit charmantem Lächeln läuft an euch vorbei. Eine von euch kneift ihn mit den Worten »Hallo, Knackarsch!« in den Po, die anderen kichern. Als er sie bittet, es sein zu lassen, gibt sie zurück: »Mann, hab dich doch nicht so … Weichei.«

Ein Mann, der sich nicht berühren lassen möchte und sich gegen Frauen wehren muss, ist also ein Weichei. Er ist nicht so potent wie er es sein sollte und wird die niedere Stufe der hodenlosen Menschen gestellt.

Ein weiterer Versuch: Du bist eine hübsche Frau mit blonden Haaren, langen Beinen und großen Brüsten. Dein Freund und du habt die Beziehung beendet, ganz gesittet, ohne Streit. Daraufhin hat er die Liebe seines Lebens kennengelernt. Die neue Freundin kommt irgendwie nicht mit dir klar. Sie meint, deine Haare seien wie dein Hirn – aus Stroh. Du zickst herum, als hättest du Dauer-PMS. Überhaupt fragt sie sich, was dein Ex von dir Hungerhaken hatte – keine Titten, aber dafür Genitalherpes. Anstatt dass dein Ex zu dir steht oder zumindest die Situation schlichtet, redet er seiner Liebe zu gut: »Die da war doch nur zum Drüberrutschen. Ich musste mir die Hörner abstoßen. Sie rennt mir bloß hinterher, weil sie sich – bestimmt nicht vor mir – einen Braten in die Röhre schieben lassen hat und jetzt mein Geld will.«

Aus deren Perspektive bist du die Ex-Freundin. Die Böse.

Es verletzt, wenn dich deine Mitmenschen verzerrt darstellen. Du wirst diffamiert. Eventuell hören dritte Personen diese falschen Aussagen und glauben es, obwohl dein ehemaliger Partner das vielleicht nur gesagt hat, um seine neue Freundin zu beruhigen. Vielleicht hat er sich nicht wirklich etwas dabei gedacht, vielleicht waren es für ihn nur leere Worte. Aber für dich als Betroffenen sind die Worte echt. Sie tun dir weh, sie tun dir unrecht, sie geben den Anschein, als ob man dich so behandeln dürfte.

»Es geht nicht darum, dass die Figuren einen einwandfreien Charakter haben und immer moralisch handeln müssen, sondern darum, die Taten und Gedanken der Figuren nicht zu beschönigen oder zu verharmlosen.«

Es geht nicht darum, dass die Figuren einen einwandfreien Charakter haben und immer moralisch handeln bzw. am Ende geläutert werden müssen, sondern darum, die Taten und Gedanken der Figuren nicht zu beschönigen oder zu verharmlosen. Es ist völlig in Ordnung, über niederträchtige und hässliche Figuren zu schreiben. Ein Problem wird es, wenn der*die Autor*in durch die Darstellung definiert, was gut und was böse ist.

Der Leser nimmt die Inhalte durch die Perspektive der Hauptfiguren wahr. Die Heldinnen und Helden sind liebenswert und mutig; sie sind die Guten. Wenn sie von dümmlichen blonden Schlampen reden und Bodyshaming betreiben, ist es gerechtfertigt. Es geht ja um böse Ex-Freundin und namenslose Affären, die es nicht besser »verdient« haben. Durch die Sicht der Romanfiguren und die Worte haben die Leser*innen das Gefühl, als wäre Abwertung etwas Normales.

Tragweite deiner Worte

CN: Sexismus, Misogynie

Vielleicht hast du mitbekommen, wie sich in den letzten Wochen sehr viele Menschen unter dem Hashtag #MeToo zu sexueller Belästigung, Übergriffen und Vergewaltigung geäußert haben. Die Leserkommentare oder Gegenreaktionen in den sozialen Medien spiegeln wider, wie die Gesellschaft denkt.

Weiblich Gelesene, die sich belästigt fühlen, werden als irrational und dünnhäutig dargestellt – oder es wird behauptet, sie hätten es selbst provoziert. Männer, die zugeben, ebenfalls belästigt worden zu sein oder zu den belästigsten Personen halten, gelten als Weicheier. Und dann gibt es eine lange Reihe von Schuldzuweisungen. Schuldzuweisungen sind cool, dann muss nämlich der andere die Verantwortung für einen tragen.

Mimimi, ihr hysterischen Weiber. Die Blondine hat sich doch extra so aufgestylt, sie ist doch auf diese »Komplimente« aus. Haste deine Tage oder weshalb drehst du durch? Sei doch froh, dass dich Hungerhaken überhaupt jemand anfasst. Lass dir einen Braten in die Röhre schieben, dann hast du ein paar Kilos mehr auf den Rippen … Das klingt ja fast wie in einigen Romanen, die ich gelesen habe.

»Man kann man die Verantwortung, sich differenziert mit Vorurteilen auseinanderzusetzen, nicht vollständig auf die Leser*innen abwälzen. Jeder Mensch, der Inhalte verbreitet, trägt die Verantwortung für diese.«

Nun, ich kann niemandem verbieten zu lästern oder andere Menschen abzuwerten. Das will ich gar nicht. Es gilt die Meinungsfreiheit. Genauso wenig will ich Autor*innen zwingen, ohne Diskriminierung zu schreiben. Es gibt nun mal Klischees, Stereotypen und Vorurteile; sie finden sich im Roman wieder und werden von den Leser*innen aufgenommen. Dennoch kann man die Verantwortung, sich differenziert mit Vorurteilen auseinanderzusetzen, nicht vollständig auf den Leser*innen abwälzen. Jeder Mensch, der Inhalte verbreitet, trägt die Verantwortung für diese. Ob es ein Roman mit abwertenden Inhalten ist, ob es sexistische Werbung ist, ob Propaganda oder Hetzschriften.

Besonders die Worte von Autoritäten, Personen mit sozialer Position oder solche, die in ihrem Fachgebiet Anerkennung genießen, haben besonders viel Macht. Zu diesen Personen gehören nicht nur Politiker*innen, Vorgesetzte oder Lehrer*innen, sondern auch Medienschaffende: Journalist*innen, Influencer und Autor*innen (das Wort Autorität ist eine Bildung von Autor).

Bereits ein einziges Wort, eine Aussage verändert die Haltung zum Thema. Das kann offensiv geschehen, durch mordende und vergewaltigende Protagonisten oder durch Politiker, die »Grab ’em by the pussy« sagen. Das kann unterschwellig gesehen, durch Nebenfiguren, über dessen Aussehen hergezogen wird, oder durch Medien, die in ihren Schlagzeilen darüber berichten, dass mal wieder so eine sinnfreie Diskussion über angeblichen Sexismus aufgeflammt ist, weil nur weil ein paar hysterische Feminist*innen jammern. Bereits ein Wort kann die Darstellung ändern und den oben genannten Politiker als aggressiv und anmaßend oder als temperament und »einen von uns« zeigen.

Diese Worte, deine Worte, verbreitet durch Bücher, verankern sich in der Gesellschaft. Auch wenn du kein*e nobelpreiswürdige*r Literat*in mit sozialkritischem Werk, sondern nur ein kleiner Romanzen- oder Fantasyschreiberling bist.

Wir Autor*innen berühren die Leser*innen auf humorvolle Weise, auf sanfte Weise, auf schmerzhafte Weise. Unsere Worte regen zum Denken an oder untermauern den diskriminierenden Umgang mit den anderen Menschen. Unsere Worte beeinflussen die Menschen. Unsere Worte haben Macht. Und wir haben die Verantwortung.

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