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Henne oder Ei?

Was war zuerst da? Henne oder Ei?

Wenn ihr mit einer neuen Geschichte anfangt, was baut ihr als Erstes? Die Figur oder den Plot?

Wenn man die Figur mit seinen Stärken und Schwächen kennt, kann man ihr Steine in den Weg legen, die die perfekte Größe haben, um ihr den kleinen Zeh zu zerschmettern (Türrahmen und Fußleisten bieten sich ebenfalls an). Man sucht sich das Gemeinste aus, um den Protagonisten dort zu treffen, wo es ihm am tiefsten schmerzt. Nur so kann man seine heile Welt zerstören (Stichwort Plot Point[1]) und ihn zwingen, aktiv zu werden.

Die Hindernisse auf seiner Reise sind nicht irgendwelche. Wenn der treue Hund stirbt, als Nächstes die geliebte Oma und dann auch noch die Freundin, der man einen Heiratsantrag machen wollte, ist das generell scheiße. Aber unser Protagonist ist nicht „generell“, er ist eine eigenständige Persönlichkeit. Wir kennen ihn. Wir kennen seine Sonnenseiten. Wir kennen seine dunkelsten Stunden. Daher bekommt er den Namen Peter[2].

Nachdem Peters Freundin in der gemeinsamen Wohnung verbrannt ist, hat er nichts mehr von ihr außer dem fiesen Stein, an dem sie sich den kleinen Zeh gebrochen hat, als die beiden nach einem Abenteuer im Grand Canyon nach Hause zurückkehren wollten. Sein einziges Erinnerungsstück an seine Freundin, … das er nun wiedererlangen möchte.

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Nun schicken wir Peter auf seine Reise und bauen um ihn herum ein Konflikt nach dem anderen, damit er die Erkenntnis erlangt, um sich charakterlich zu entwickeln. Doch ergeben diese aneinandergereihten Szenen einen Sinn für den Plot? Woraus besteht überhaupt der Plot? Aus der Suche nach dem Stein? Reicht alleinig diese Motivation[3], um die Handlung voranzutreiben?

Der Autor zwingt unseren Peter einen Weg zu gehen, den er niemals wählen würde. Peter selbst kennt den Sinn der Geschichte nicht, ihn treibt seine Motivation. Im schlimmsten Fall hat sich Peter schon so sehr zu einer selbstständigen Person entwickelt, sodass er gar nicht mehr auf dem Plotstrang balanciert, sondern hinunterhüpft und Eis essen geht. Nötigt der Autor ihn zurück auf den vorbestimmten Weg, bemerkt der Leser schnell, dass die aufgezwungene Handlung nicht Peters Charakter entspricht, und er nimmt ihm die Geschichte nicht ab.

Natürlich kann der Autor ein Ereignis erfinden, das die Motivation des Protagonisten in Richtung Plot lenkt. Er schickt Peter auf die Baustelle des verbrannten Wohnhauses und lässt einen Mann mit gepuderter Lockenperücke an einem Kran[4] herunterschweben, der dann sagt: »Zuerst den Plot, sonst verdirbst du dir den Charakter.«

»Dann musst du dir aber einen anderen Honk suchen, der deine hübsch geplottete Heldenreise beschreitet«, schnaubt Peter und lehnt sich mit verschränkten Armen gegen den Baustellenzaun. »Für’n Job, den jeder blasse Durchschnittscharakter machen kann, bin ich mir zu schade.«

Mein Blick pendelt zwischen Peter und Kran-Amadeus, die sich darüber streiten, ob der Autor zuerst den Plot oder den Charakter entwickeln soll. Da es nicht so aussieht, als würden sich die beiden in diesem Jahrhundert noch einig werden, nehme ich mein Notizheft unterm Arm und verschwinde klammheimlich.

Ich lasse Plot und Charakter Plot und Charakter sein und baue zuerst die Welt. Eine Fantasywelt, die an das viktorianische Zeitalter in England erinnert, und wo Peter höchstwahrscheinlich nicht in die Verlegenheit kommt, in und durch die USA zu reisen, um den noch nicht existenten Nationalpark zu besuchen. Geschweige denn vor der Hochzeit mit seiner Freundin zusammenzuleben.

Wenn ihr eine Geschichte schreibt, was plant ihr als Erstes? Mit welcher Arbeitsweise kommt ihr am besten klar? Welchen Plotting-Problemen seid ihr schon begegnet und wie habt ihr sie gelöst?


[1] Wendepunkt im Handlungsstrang
[2] Als Onomatologe sind die Namen willentlich gewählt. „Peter“ kommt über ein paar Ecken von „Fels“.
[3] Ein Ziel, das den Protagonisten zum Handeln treibt
[4] Deus ex machina, falls es zu undeutlich war.

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