If you say in the first chapter that there is a rifle hanging on the wall, in the second or third chapter it absolutely must go off.
— Anton Tschechow
Dieser Woche steht unter dem Motto „Spannung“. Nachdem euch Sophie mit dem Aktions-Reaktions-Prinzip den Fokus auf die Dramaturgie gelegt hat und weltatlas gezeigt hat, dass der Protagonist nur durch den Antagonisten stark sein kann, will ich auf die Stilmittel und Sprache eingehen. Und auch hier lässt sich die Quintessenz in einem Wort zusammenfassen: Konflikt.
Wenn man an spannende Szenen denkt, hat man oft actionreiche Spektakel im Kopf. Kämpfend, fliehend, fluchend – am besten mit scharfen Waffen oder Haushaltsgegenständen wie Nudelhölzer oder, ganz modern, Bratpfannen – findet man eine Person, die sich dann als Protagonist herausstellt.[1] Es muss aber nicht unbedingt eine wilde Handlung sein, um Spannung zu erzeugen. Die Ungewissheit und die Vorahnung (subjektive Gewissheit) vor der großen Action ist sogar noch spannender. Ein Bratpfannenschlag auf den Kopf ist binnen Sekunden ausgeführt, doch wie sich dieser Konflikt aufbaut, dass es so weit kommt, kann sich über einen ganzen Roman ziehen.
Durch Hinweise ahnt der Leser, dass das Candle-Light-Dinner in dem Hausboot, das einsam am Steg schunkelt, nicht gut ausgehen kann. Der Himmel ist wolkenverhangen und der Wald um den See wirft bedrohliche Schatten. In der Ferne jault ein Hund. Der Protagonist stolpert über ein paar Knochen und denkt sich nichts dabei. Vielleicht hat sein schussliges Date beim Müllrausbringen etwas fallen lassen.
Doch wir wissen es besser. Vor einigen Tagen lief im Boulevard-TV eine Sendung über den AxtBratpfannenmörder, und wenn der Autor ausführlich darüber schreibt, ist es ein Zeichen, dass dieses Element noch wichtig für die Geschichte ist.
Der Leser verkrallt seine Finger in das Buch, während er den ungleichen Wissensstand des Lesers und des Protagonisten vereinbaren muss. Dabei ist die Frage so einfach: Schafft es der Protagonist oder schafft er es nicht?
In der Literaturwissenschaft gibt es drei Begriffe: Surprise, Suspense und Mystery. Surprise ist die Bratpfanne, Suspense ist der ganze Konflikt davor, und Mystery wäre das Rätsel, wer die Pfanne geschwungen hat.
Wir beschäftigen uns heute mit Suspense, wofür wir mit dramaturgischen Erzähltechniken arbeiten. Auf die Zutatenliste kommen:
- Epische Vorausdeutung
- Tschechows Pistole
- roter Hering
- tickende Zeitbombe oder Rettung in letzter Minute
- Cliffhanger
Epische Vorausdeutungen (foreshadowing) geben Hinweise auf den weiteren Verlauf der Geschichte. Sie sind nicht zu verwechseln mit der Vorausblende (flashforward), dem Pendant zur Rückblende (flashback), bei dem Teile der Handlung vorausgegriffen werden.
Es werden handlungsfunktionelle Elemente gesät (planting). Erstens, um Rätsel aufzuwerfen, die der Leser später ernten kann, denn es ist ein befriedigendes Gefühl für den Leser, einen wichtigen Zusammenhang erkannt zu haben. Oder zweitens, um die Schlüsselszenen vorzubereiten. Elemente, die zur Lösung benötigt werden. Sie werden erst beiläufig erwähnt, dann eingebunden und schließlich angewendet. Werden sie erst in dem wichtigen Moment aus dem Nichts gezaubert (Deus ex machina), wirkt es so, als hätte der Autor sich im Plot verrannt und müsste sich eine unlogische Alternative ausdenken, damit seine Protagonisten das Ziel erreichen.
Tschechows Pistole (Chekhov’s gun) heißt die Erzähltechnik, bei der jedes wichtige Element, bevor es zum Einsatz kommt, bereits in die Welt eingeführt und etabliert sein muss. Der Autor hängt im ersten Kapitel ein Gewehr an die Wand, damit später mit diesem geschossen wird. Wenn davor nie von einem Gewehr geredet wird, ist es verwirrend, wenn plötzlich aus dem Nichts auftaucht.
Unter Elemente zählen nicht nur Gegenstände, sondern auch Wissen und Fähigkeiten, Orte und Figuren. Elemente, die keine Rolle spielen, können gelöscht werden. Habt ihr zum Beispiel eine Figur, die lediglich am Anfang kurz vorkommt und dann für immer verschwindet, könnt ihr sie streichen oder zum Statisten machen.
Natürlich kann man den Leser auch auf die falsche Fährte locken, in dem ihm zur Ablenkung einen stinkenden gepökelten roten Hering (red herring) vor die Füße wirft. Er wird sich eine Weile mit dem auseinandersetzen, bevor er merkt, dass die Lösung woanders steckt. Diese Erzähltechnik wird besonders gern in Krimis und Thrillern benutzt.
Zeit bzw. mangende Zeit ist ebenfalls ein Faktor, der den Leser die Luft anhalten lässt. Eine tickende Zeitbombe (ticking time bomb) gibt eine Frist, innerhalb derer der Protagonist sie finden und entschärfen – und die Menschheit retten – muss. Die Bombe ist eng mit der Rettung in letzter Minute (last-minute rescue) verknüpft, bei der die Schlüsselszene spannungssteigernd in die Länge gezogen wird. An einem Ort sitzt der Protagonist und fummelt an der Bombe herum, an dem anderen sitzt die zu rettende Figur – gern mit dem Antagonisten.
Damit dem Leser endgültig die Luft ausgeht, könnt ihr einfach an der spannendsten Stelle aufhören. Der Cliffhanger ist ein sehr einfaches Mittel zur Spannungssteigerung und daher, wenn er nicht gut eingesetzt wird, oft plump und klischeehaft. Wenn ihr es draufhabt, könnt ihr eine Szene oder ein Kapitel mit einem Cliffhanger enden lassen oder den Leser mit fiesen Rückblenden auf die Folter spannen.
Mit Suspense haltet ihr selbst in handlungsarme Szenen die Spannung hoch. Ihr braucht nicht unbedingt alle Stilmittel ausreizen. Das Wichtige ist, mit inneren Konflikten zu arbeiten. Vergesst dabei nicht die verschiedenen Ebenen Plot, Figur, Erzähltechnik und Stilmittel (Atmosphäre durch Show don’t tell). Nur so könnt ihr den Spannungsbogen maximieren.
[1] Das war ein Beispiel für einen schlechten Romananfang, bei dem der durch die aufgebauschte Spannung keinen Zugang zum Protagonisten und / oder zur Handlung findet. Wie man gute Anfänge schreibt, erzähle ich in der nächsten Aufgabe. Cliffhanger … *kicher*