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Auf der Suche nach der Figurenstimme

Ich sitze im Moment an einem noch sehr jungen Projekt – einer Liebesgeschichte zwischen einer Diebin und einem Prinzen. Plot und Exposé stehen bereits, die Konflikte sind gestreut und auch die Welt, in der die Geschichte spielen soll, fühlt sich in meinen Tagträumen so an, als hätte ich sie bereits jahrelang bereist.

Nur meine Protagonistin will sich noch nicht so recht zähmen lassen. Immer, wenn ich eine Szene aus ihrer Perspektive schreibe, habe ich das Gefühl, hölzern zu klingen, unecht, als würde ich eine Marionette auf meine Leser loslassen, die zwar meine Befehle ausführt, aber noch keine selbstständige Person ist. Es steckt noch kein Leben in ihr – ihr fehlt die eigene Stimme.

Aber wie schaffe ich es, genau diese Stimme zu finden (und an meine Leser weiterzugeben)?

Ich habe mich auf die Suche gemacht und ein paar der gängigste Methoden ausprobiert.

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Der Figurensteckbrief

Die vermutlich einfachste Lösung, näher an seine Figur heranzukommen, ist ein klassischer Figurensteckbrief, den es in ganz unterschiedlicher Länge und Ausführlichkeit im Internet zu finden gibt. Neben grundlegenden Informationen wie Haar- und Augenfarbe, Statur und Familienstammbaum liefern viele dieser Steckbriefe auch Informationen zum Charakter:

Ist er besonders eitel oder stolz?

Welche Ziele verfolgt er?

Was ist seine Vorstellung von Glück?

Ein solcher Steckbrief hat den Vorteil, dass man viele wichtige Informationen an einem Ort gebündelt hat und so im Schreib- und Korrekturprozess immer an der gleichen Stelle nachschlagen kann, sodass Anfängerfehler wie wechselnde Augen- und Haarfarben vermieden werden können.

Auf der Suche nach der Figurenstimme hat mir das Ausfüllen eines Steckbriefs allerdings wenig weitergeholfen. Ich weiß ja bereits, wie meine Heldin aussieht, was ihre Probleme und Wünsche sind und wie sie darum kämpfen soll. Aber wie sie sich in einer bestimmten Situation verhält, verrät mir der Steckbrief nicht.

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Die 100 Standardfragen

Dies ist ein weiteres Template, das in vielen Versionen auf Autorenblogs und in -foren kursiert. Hier kann ich zum ersten Mal in die Haut meiner Protagonistin schlüpfen und aus der Figur heraus agieren, in dem ich die vorgefertigten Fragen im Interviewstil beantworte.

Anders als beim Steckbrief geht es jetzt nicht mehr um die reinen Fakten – eine besonders verschlagene Figur darf durchaus lügen oder die Wahrheit zu ihren Gunsten verkehren, eine naive Figur aus der Sicht ihres heilen Weltbilds heraus antworten. So bekommt man einen ersten Eindruck davon, wie die Figur redet und denkt, was sich später positiv auf die direkte bzw. die Gedankenrede niederschlägt.

Der Nachteil besteht in der Standardisierung des Fragebogens. Zum einen sind, abhängig von Setting und Genre, viele Fragen auf dem Bogen einfach nicht von Bedeutung. Eine Nonne aus dem 15. Jahrhundert kannst du schlecht zu ihrer Meinung über Sterbehilfe und Umweltverschmutzung befragen, während einen Raumschiffpiloten des 27. Jahrhunderts der wieder aufflammende Ost-West-Konflikt vermutlich eher weniger interessiert.

Gerade bei Settings, die nicht der heutigen Zeit bzw. dem üblichen Weltbild entsprechen, gerät man mit den Standardfragen schnell an Grenzen, sodass sich der Aufwand oft nicht wirklich lohnt.

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Das Figureninterview

Im Unterschied zu den Standardfragen sind hier eurer Phantasie keine Grenzen gesetzt. Quetscht eure Figuren nach Herzenslust aus, oder – wenn ihr einen noch besseren Effekt erzielen wollt – lasst euch von euren Schreibfreunden ausfragen. Es ist erstaunlich, welche Informationen und Ideen zu Tage treten können, weil irgendjemand anderes einen kleinen Schubs in die richtige Richtung gegeben hat.

Wenn ihr ganz tief in eure Figuren eintauchen wollt, stellt das Interview wie ein Rollenspiel dar und taucht in den Kopf eurer Figur auf. Beschreibt ihre Reaktionen auf unangenehme Fragen, ihre Gedanken und Empfindungen. So kommt ihr der Figur automatisch näher und habt gleichzeitig erste Schreibversuche, die eurer Geschichte helfen können.

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Die Testszenen

Noch einen Schritt weiter gehen könnt ihr, wenn ihr eure Figur direkt auf ihr Umfeld loslasst. Vielleicht habt ihr ja bereits ein paar Ideen für Szenen im Kopf, die außerhalb der eigentlichen Geschichte stattfinden, sich aber trotzdem in eure Gedanken geschlichen haben – Kindheitserinnerungen, kleine Ausflüge, angespannte Situationen.

Wenn ihr nicht wisst, was ihr schreiben sollt, sucht euch einen Wortgenerator oder holt euch einen Satz Story-Cubes und bastelt aus den Schlagwörtern einzelne Szenen.

Der Vorteil von Testszenen besteht darin, dass ihr eure Figuren nicht nur in einem beschränkten Umfeld (bspw. dem Interview) ausprobiert, sondern sie auch mit anderen Figuren aus eurem Romanprojekt interagieren lassen könnt. Das führt nicht nur dazu, dass ihr eure Figur besser versteht, auch der Umgang mit anderen Figuren wirkt durch solche Testszenen lebensechter und natürlicher.

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Was ist euer Weg?

Ich habe für mich selbst festgestellt, das Testszenen in Kombination mit einem kurzen Steckbrief am besten funktionieren – aber das ist für jeden anders. Vielleicht mögt ihr besonders die 100 Fragen oder quetscht eure Figuren lieber in Charakterinterviews aus.

Findet euren eigenen Weg, dann werden eure Figuren euch ihre Nöte von ganz alleine verraten.

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