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Die Melodie der Sprache – Was ist dein Stil?

»Das wird der Hit des Jahres!«

Freudig winkt Arthur mit einem Stapel Notenblätter, als er den Bandraum betritt. Seine Augen strahlen so hell, dass die Ringe darunter schattenlos erscheinen. Mitten in der Nacht hat ihn die Muse geküsst. Da er vergeben bist, war es ihm etwas unangenehm. Doch da sie ihm eine Hookline ins Ohr setzte, gegen die kein Wurmmittel hilft, hat er ihr vergeben.

Bis in den Morgengrauen saß Arthur an dem neuen Song. Um diese Melodie hat er einen Spannungsbogen gezogen, die Parts der einzelnen Instrumente ausgearbeitet und ihnen einen großartigen Charakter verliehen. Er könnte sich selbst auf die Schulter klopfen.

Nachdem er die Noten verteilt hat, schreitet Arthur – die Hände zufrieden hinter dem Rücken verschränkt – zwischen den Musikern hindurch. Er weiß, dass er gute Arbeit geleistet hat. Er hat nicht nur an die Komposition selbst gedacht, er kennt die Stärken jedes einzelnen Musikers seiner Band und hat ihnen herausfordernde Stilmittel eingebaut, mit denen sie ihre Virtuosität beweisen können.

Die Musiker sind begeistert. Der Leadgitarrist wippt mit dem Kopf im Takt und improvisiert Dreifachgriffe über das Intro. Während die Grazie an dem Kontrabass in Rockabilly-Manier auf ihr Instrument steigt, als wäre sie eine australische Surferin auf einer Monsterwelle. Ihre flinken Hände reißen die Stahlsaiten an, nur um sie vibrierend zurückschnappen zu lassen. Auch der Schlagzeuger kann sich nicht mehr zurückhalten, er wirbelt mit den Sticks über die Drums und paradiddelt in Endlosschleife. Immer wieder. Immer wieder. Die anderen Bandmitglieder nehmen es kaum war, zu sehr sind sie mit sich selbst beschäftigt. Sie wollen beweisen, dass ihr Part der Wichtigste ist. Und dies unterstreichen sie, indem sie lautstark die tollsten Töne aus ihrem Instrument hervorholen.

Arthur schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, so hat er es sich nicht vorgestellt. Er versteht es einfach nicht. Die Komposition sollte perfekt sein. Wieso ist es zu einem solchen Geräusch-Overkill geworden?

In diesem Moment bläht die Sängerin ihren Bauch bis ins Zwerchfell auf und schmettert den Refrain – eine Oktave höher als Arthur notiert hat – im schönsten Belcanto.

Die Scheiben der Fenster springen.

Die Band verstummt.

Ruhe.

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»Da …«, flüstert der Schlagzeuger. Sachte, sodass man kaum unterscheiden kann, ob es seine Stimme ist, oder seine Drums, über die er streicht. »Da ist jemand …«

Mit dem Stick weist er zur Tür, wo ein Mann im Rahmen lehnt. Es ist ein unscheinbarer Mann. Einer von der Sorte, über die Zeugenaussagen unbrauchbar sind, weil sich niemand an seine Gestalt erinnert.

Arthur baut sich – schon fast beschützend – vor seinen Bandmitgliedern auf und strafft die Schultern. »Wer sind Sie?«

»Ich bin Lektor.«

»Hallo, Lektor.« Ohne die Deckung zu vernachlässigen, reicht ihm Arthur die Hand, die sein Gegenüber mit weichem Griff entgegennimmt. »Was führt Sie hierher?«

»Ich arbeite mit Autoren zusammen. Ich denke, ich kann euch helfen.«

»Wir sind aber keine Autoren.«2401

»Aber ihr seid Künstler«, betont Lektor. Anstatt weiterzureden, macht er eine theatralische Pause. Er setzt die Brille ab, reibt sie mit seinem Jackettzipfel blank, und nachdem er sie sicher auf der Nase platziert hat, fährt er fort: »Die Künste, ob bildend oder darstellend, ob Musik oder Literatur, sind gar nicht so verschieden. Sie erzählen eine Geschichte. Doch war nützt das schönste Bildmotiv, wenn die Farbkomposition Augenkrebs verursacht. Was nützten spannende Plots und tiefgründige Figuren, wenn die Sätze unlesbar lang und kompliziert sind?«

Als Arthur im Eifer des Komponierens nicht daran gedacht, dass ein Mensch beim Singen auch mal Luft holen muss, während er seine Finger pausenlos über die Tasten huschen.

Beim Schreiben kann dasselbe passieren. Du schreibst und schreibst, der Leser liest und stolpert über zu lange Sätze, die vor Wörter und aufgeblähten Metaphern überquellen – aber auch über kurze, unvollständig klingende Sätze.

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Woran liegt es?

Wörter verheddern sich

Wort- oder Lautwiederholungen verursachen eine Monotonie. Da zudem sowohl Auge als auch Zunge träge sind, behindern sie den Lesefluss. Wortwiederholungen und andere Informationen ohne Mehrwert erkennen die Autoren rasch – durch Schreibratgeber hat man eine gewisse Sensibilität entwickelt. Gleiche Laute hingegen bleiben oft unentdeckt.

Der kleine plappernde Kaplan klebt klappbare poppige Pappplakate an die klappernde Kapellwand.

In der Phrase »Poppige Pappplakate« stecken gleich vier labiable Plosive. Klingt fast wie beim Kirschkernspucken. Wer dieses Stakkato für seinen Stil braucht, darf es gern benutzen. Wer einen weicheren Übergang haben will, kann auf Synonyme ausweichen. → Farbenfrohe Pappplakate.

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Wörter gehen schwer von den Lippen

Um die oben genannte Trägheit zu durchbrechen, muss man frischen Wind einbringen und Atempausen schaffen. Eine Alternative zu »Pappplakate« wäre »Plakate aus Pappe«. Die Wortfußrhythmik ist ausgeglichener und angenehmer auszusprechen, zudem trennt man damit dieses hässliche 3-fach-P. (Nicht vergessen, das Auge isst mit.)

Wenn wir schon dabei sind, schwergängige Wörter auszumerzen, sind nicht ohnehin alle Plakate aus Papier oder Pappe? Reicht »farbenfrohe Plakate« nicht vollkommen aus? Spielt es außerdem eine Rolle, dass man das Plakat zusammenklappen kann? Braucht man das Wort »Wand«? Ist es doch klar, dass niemand Plakate auf den Boden oder an die Zimmerdecke klebt.

Und wenn man den Fokus von den Wörtern auf den Inhalt lenkt: Geht es um das Konzert, das auf den Plakaten verkündet wird? Geht es um die Körpergröße des Kaplans, wodurch er beim Kleben eine Leiter braucht und beim nächsten Plakat unglücklich stürzt? Geht es um die marode Kapelle und um Spendenaufrufe?

Da nur ein Thema im Vordergrund ist, können die trägen, unwichtigen Informationen gestrichen oder aufgehoben werden, bis sie an der Reihe sind.

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Rhythmik des Satzes

Es hängt vom Inhalt ab, welche Melodie für den Satz geeignet ist. Hauptsätze geben ein schnelleres Tempo vor, aber bei einer Dichte an Wörtern behindern sie die Verständlichkeit. Entscheidet man sich für Nebensätze, verlangsamt man den Satz. Jedoch gibt man dem Leser mit den Kommata, die die Satzteile trennen und ordnen, eine Atempause.

Der kleine plappernde Kaplan klebt farbenfrohe Plakate an die klappernde Kapellwand.

  • Der Kaplan, der ohne Unterlass redet, klebt farbenfrohe Plakate an die Kapelle.
  • Ohne sein Geschwätz zu unterbrechen, klebt der Kaplan farbenfrohe Plakate an die Kapelle.
  • Die Plakate, die der geschwätzige Kaplan angeklebt hat, leuchten an der maroden Kapelle.

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Power der Position

In den oben genannten drei Sätzen steht der Kaplan, einmal sein Charakter und einmal die Plakate im Fokus. In der deutschen Sprache ist nämlich der Anfang des Satzes betont. Die Mitte hängt ein wenig durch und das Ende ist wieder stark.

Es ist dem Schriftsteller ins Blut übergegangen, Satzanfänge abzuwechseln – eine gute Gewohnheit. Doch während man die Redundanzen ausmerzt, vergisst man manchmal die Aussage, die man ursprünglich intendiert hat.

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Der Fluss zwischen den Sätzen 

Ein Lesefluss kann nur entstehen, wenn auf einen Satz mit logischer Konsequenz der nächste folgt. Diesen braucht der Leser, um besser folgen zu können.

Die Zange zum Abschneiden der Saite liegt bereit. Bevor der Gitarrist eine neue Saite in die Mechanik seiner Gitarre einfädelt, entfernt er die alte und muss dann das eine Ende der Saite an die Halterung knoten. Der Überschuss an der Mechanik kann nun abgezwickt werden, nachdem die Saite dort festgezogen worden ist.

Dass dieser Absatz holpert, ist klar. Die Ursache liegt an der sprunghaften Handlung. Der Leser muss die Chronologie zuerst erfassen, bevor er sich mit dem Inhalt beschäftigen kann.

Ich nummeriere die Satzteile. ① geschieht als Erstes, ⑦ als Letztes.

⑥ Die Zange zum Abschneiden der Saite liegt bereit. Bevor der Gitarrist ② eine neue Saite in die Mechanik seiner Gitarre einfädelt, ① entfernt er die alte und muss dann ③ das eine Ende der Saite an die Halterung knoten. ⑤ Der Überschuss an der Mechanik kann nun ⑦ abgezwickt werden, nachdem ④ die Saite dort festgezogen worden ist.

In die richtige Reihenfolge gebracht, ist es nicht mehr schwer zu folgen: Alte Saite entfernen, neue Saite in die Halterung, anderes Ende in die Mechanik. Zum Schluss mit der Zange die überschüssige Länge abschneiden.

Der Lesefluss ist der wichtigste Faktor, um einen Text zum Singen zu bringen. Es geht dabei nicht nur um den chronologischen Zusammenhang. Man kann Ursache und Wirkung ineinandergreifen lassen und somit Mini-Konflikte erzeugen.

Obwohl der Gitarrist einen verstauchten Knöchel hat, ist er zur Bandprobe gehumpelt, um dabei zu sein, wenn Arthur den neuen Song vorstellt.

Dieser Satz ist nicht nur chronologisch aufgebaut, die Satzteile enthalten Fragen und Antworten. Was macht der Gitarrist trotz Verletzung? Weshalb geht er zur Probe? Wo will er dabei sein?

Konflikte (sowohl die sprachlichen als auch die inhaltlichen) sind die treibende Kraft, die den Leser von einem Satz zum anderen leitet und ihn den Roman bis zum Ende lesen lassen.

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Der Mann, der sich Lektor nennt, fasst Arthur an die Schulter und sieht ihn eindringlich an. Die wichtigste Frage:

Worum geht es in deinem Stil? Was ist das Besondere an ihr?

Arthur grübelt. Er hat diese einprägsame Melodie im Kopf, die seine Musiker mit ausgefeilter Technik und höchster Virtuosität dieses Lied in die Welt hinaus tragen sollen. Nachdem er diesen Gedanken ausformuliert hat, begreift er, dass er jedem Instrument eine führende Rolle gegeben hat. Seine Band besteht aus Leadgitarristen, einem Leaddrummer und einer Leadkontrabassistin. Doch eigentlich ist die Sängerin die Hauptfigur. Eigentlich sollte ihr tiefgründiger Gesang im Mittelpunkt stehen – begleitet von, … ja, von wem überhaupt?

Arthur will nicht seinen Musikern die wichtige Rolle entreißen und sie in die Rhythmusgruppe verdammen. Der Gedanke, eine Sologitarre zu streichen, behagt ihm gar nicht. Sein Blick wandert zu Trick, der mit hängendem Kopf und hängender Elvis-Tolle wie ein kleiner Schuljunge wirkt, und ihm wird schwer ums Herz.

»Nicht verzagen. Gib ihnen einfach mehr Luft zum Atmen. Das klappt schon.« Aufmunternd nickt ihm Lektor zu. Sein Lächeln wirkt aber weniger nach »Du hast das Wissen, jetzt musst du es nur noch umsetzen«, sondern eher nach »Du hast die Spitze des Eisbergs geleckt«.

»Die Frau Sängerin ist das Herz des Liedes«, fährt Lektor fort. »Die Instrumente dürfen nicht ihren Gesang ersticken, sondern sollen ihn unterstreichen. Lasst sie die Geschichte singen!«

Arthur erfüllt eine positive Energie. Er weiß, was er umsetzen will. Er weiß, von welchen überflüssigen Spielereien er seine Komposition befreien muss, damit die Geschichte das Publikum erreicht.

»Danke …« Arthur stutzt. Stand hier ein Augenblinzeln vorher nicht noch ein … Ja, ein was überhaupt? Nun, wenn er sich nicht erinnern kann, scheint es nicht so wichtig gewesen zu sein.

Er wendet sich zu seiner Band und klatscht in die Hände, um Aufmerksamkeit zu erlangen. »Leute, wir spielen zwei Halbtöne tiefer«, ruft er ihnen zu, denn die in die Höhe trainierte Stimme der Sängerin klingt in den Tiefen auf natürliche Art weich und sinnlich. Perfekt für diesen Song. »Nicht murren, ich weiß, was ihr draufhabt!«

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